Im „ACLS Experienced Provider”-Kurs können besonders interessierte ACLS Provider:innen den Umgang mit zahlreichen seltenen oder besonders komplexen kardiovaskulären Notfällen praktisch erlernen. Eine dieser Störungen ist die Hyperkaliämie. Bekanntermaßen sind Elektrolytstörungen bei vielen Kolleg:innen nicht das beliebteste Thema. Mit diesem Artikel möchten wir daher ein paar Hintergründe erklären und euch die praktische Herangehensweise damit etwas einfacher machen.
Hyperkaliämie?
Hyperkaliämie = Erhöhung des Serum-Kaliums auf >5,0 mmol/l (Grenzwerte unterscheiden sich je nach Definition geringfügig.
Um Hypo- und Hyperkaliämien besser zu verstehen, sollten wir zunächst einen Blick auf den Wasser-Elektrolythaushalt werfen. Elektrolyte sind Mineralien, die als Ionen (elektrisch geladene Atome) vorliegen können. Die bekanntesten Beispiele sind Natrium, Kalium, Kalzium, Magnesium und Chlorid. Im Körper sind Elektrolyte zumeist in Wasser gelöst. Je nach Alter besteht dieser zu etwa 60 % aus Wasser. Bei Kindern ist der Wert höher, bei alten Menschen ist er etwas tiefer. Ein Organismus kann nur dann funktionieren, wenn er seine „innere Logistik” aufrechterhält. Atome und Moleküle müssen an bestimmte Stellen transportiert werden, um dort entweder die Struktur des Körpers zu stärken (z.B. Kalzium im Knochen) oder zu einem Prozess beizutragen (z.B. Kalzium bei der Reizleitung). Nicht verwirren lassen: Wir haben hier, obwohl es gleich um Kalium gehen wird, zweimal Kalzium als Beispiel gewählt, weil es vom Körper sowohl strukturell („Knochen”) als auch funktionell („Reizleitung”) genutzt wird. Letzteres können wir uns auch bei der Therapie der Hyperkaliämie zunutze machen. Dazu aber mehr am Ende dieses Artikels.
Eine Grundbedingung für den Wasser-Elektrolythaushalt ist also das Vorhandensein einer Logistik („Körperwasser”). Eine zweite Grundbedingung ist die Ladung der Elektrolyte. Sie liegen als Ionen vor. Das bedeutet, dass sie entweder negativ (z.B. Chlorid) oder positiv (z.B. Kalium, Natrium, Kalzium oder Magnesium) geladen sind. Die dritte Bedingung für den Wasser-Elektrolythaushalt ist die Trennung einzelner „Räume”. Die Konzentration von Elektrolyten ist je nachdem, wo man im Körper hinschaut, unterschiedlich hoch. Kalium zum Beispiel ist in der Zelle deutlich höher konzentriert als extrazellulär.
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Eine wichtige Funktionsweise von Körperzellen ist die Trennung zwischen „innen” und „außen”. Um ihren Stoffwechsel aufrecht zu erhalten, stellen sie ein ganz spezifisches chemisches Milieu her. Dazu lassen sie über Transporter und Kanäle gezielt bestimmte Moleküle herein und schleusen andere heraus.
Kalium? Was ist das?
Stark vereinfacht kann man sich merken, dass Natrium und Kalium bei der Reizbildung und Reizleitung an Zellmembranen zusammen wirken. Natrium ist extrazellulär höher konzentriert, während die Konzentration von Kalium intrazellulär höher liegt. Da beide Elektrolyte dazu neigen, sich in einer Flüssigkeit gleichmäßig zu verteilen (wie Zucker in einem Kaffee), haben sie eine Art „Bestrebung” dorthin zu gelangen, wo ihre Konzentration niedriger ist. Natrium würde am liebsten in die Zelle gelangen, Kalium würde herausfließen, „wenn es könnte, wie es wollte”. Natürlich haben weder Natrium noch Kalium einen Willen. Sie folgen einfach nur physikalischen Prinzipien. Aber so ist es ein wenig bildlicher.
Natrium und Kalium werden durch die Zellmembran daran gehindert, sich sowohl außerhalb als auch innerhalb der Zelle gleichmäßig zu verteilen. Durch die Membran selbst können sie nicht fließen. Sie benötigen dafür entweder Transporter (z.B. die Natrium-Kalium-ATPasen) oder Kanäle (z.B. spannungsgesteuerte Natriumkanäle).
Natrium-Kalium-ATPasen?
Natrium-Kalium-ATPasen sind Ionenpumpen, die Kalium und Natrium unter Energieverbrauch entgegen ihres Konzentrationsgradienten pumpen. So kann beispielsweise Kalium wieder in die Zelle gelangen, obwohl es nicht von selbst (durch Diffusion) dorthin fließen würde.
An dieser Stelle müssen wir uns daran erinnern, dass Elektrolyte eine Ladung tragen. Innerhalb der Zelle gruppieren sich die positiv geladenen Kalium-Ionen mit negativ geladenen Teilchen. Sie gehen dabei keine feste Bindung ein, ziehen sich aber wie Magneten gegenseitig an. Und nun passiert etwas Spannendes: In der Zellmembran sind einige Kaliumkanäle dauerhaft geöffnet. Sie erzeugen einen sogenannten Leckstrom. Das heißt, dass etwas Kalium, wie bei einem undichten Waschbecken, aus der Zelle herausfließen kann. Dem Kalium folgen negativ geladene Teilchen (z.B. Chlorid). Diese können aber die Zellmembran nicht passieren und lagern sich daher von innen an. Gleichzeitig verhindern sie durch ihre Anziehungskraft, dass das Kalium sich weit von der Zellmembran entfernt. Kalium und Chlorid stehen sich also wie zwei Nachbarskinder an einem Zaun gegenüber. Auf diese Weise kommt es zur Ladung der Zellmembran. Außen, wo sich nun etwas von dem positiv geladenen Kalium befindet, wird die Membran positiv. Innen, wo sich das negativ geladene Chlorid eingelagert hat, wird die Membran negativ. Diesen Zustand haben viele von uns in der Schule als „Ruhemembranpotential” kennengelernt. Es entsteht vor allem an Zellmembranen von elektrisch aktiven Zellen (Nerven- und Muskelzellen).
Ruhemembranpotential und Aktionspotential
Damit Nerven- oder Muskelzellen miteinander kommunizieren können, benötigen sie eine Möglichkeit, sich gegenseitig Signale zu senden. Am einfachsten kann das mit dem Bewegen eines Muskels verdeutlicht werden. Um die Bewegung zu planen und die Entscheidung zur Bewegung zu treffen, müssen Nervenzellen innerhalb des Gehirns Signale austauschen. Dann muss der Motorkortex über Nervenbahnen an den Muskel melden, dass er jetzt bitte kontrahieren möge. Innerhalb des Muskels müssen die Muskelfasern alle etwas von dieser Aufforderung mitbekommen haben. Ganz ähnlich, nur mit deutlich weniger Einfluss vom Gehirn, verhält es sich am Herzen. Wir erinnern uns: Das Herz wird zwar von Parasympathikus und Sympathikus beeinflusst, schlägt aber autonom. Aber auch hier müssen Signale weitergeleitet werden, damit eine geordnete Kontraktion entstehen kann.
Zu viele Fachbegriffe? Hier gibt es noch weiterführende Erklärungen!
- Motorkortex = Teil der Hirnrinde, der für Bewegung zuständig ist.
- Parasympathikus = Teil des vegetativen Nervensystems, der für Erholung und Verdauung zuständig ist.
- Sympathikus = Teil des vegetativen Nervensystems, der für Aktivität („Fight or flight.”) zuständig ist.
Möglich gemacht wird dieses Senden von Signalen über die Ladung der Zellmembran. Im Ruhezustand ist sie außen positiv (z.B. Kalium) und innen negativ (z.B. Chlorid) geladen. Die Gesamtkonzentration von Kalium ist allerdings intrazellulär deutlich höher, so dass, wie zuvor erwähnt, noch mehr Kalium ausströmen würde, wenn es könnte. Beim Natrium verhält es sich umgekehrt. Sobald die Zellmembran passierbar wird, fließt es in die Zelle. Und so startet auch ein Aktionspotential. Natriumkanäle werden geöffnet, das positiv geladene Natrium strömt in die Zelle und lässt damit auch das Membranpotential positiver werden. Normalerweise liegt es bei etwa -90 mV. Wird das Schwellenpotential von -30 mV erreicht, kommt es zum Aktionspotential (Achtung: Die jeweiligen Werte sind je nach Zelle und Literaturquelle etwas unterschiedlich – das Prinzip ist aber immer das gleiche). Während eines Aktionspotentials dreht sich die Ladung an der Zellmembran um. Die Innenseite ist kurzzeitig positiv geladen, die Außenseite negativ. Das Aktionspotential setzt sich dann in benachbarten Regionen fort. Mit diesem einfachen Trick kann ein Signal von einem Punkt zum anderen geleitet werden.
Sobald das Aktionspotential ausgelöst wurde, werden spannungsabhängige Kaliumkanäle geöffnet, Kalium strömt aus der Zelle heraus und stellt damit das Ruhemembranpotential wieder her. Bei Herzmuskelzellen wird der Kaliumausstrom durch den Einstrom von Kalzium etwas verzögert („Plateauphase”). Das verhindert die Übererregbarkeit von Herzmuskelzellen, die zwar eine schnelle Erregung ausführen können, allerdings nicht wie ein Skelettmuskel verkrampfen dürfen.
Wenn ihr noch etwas tiefer ins Aktionspotential einsteigen wollt, lohnt sich der dazugehörige Wikipediaartikel.
Hypokaliämie
Wenn die Kaliumkonzentration sinkt, steigt der Konzentrationsgradient zwischen intra- und extrazellulär an. Mehr Kalium strömt aus der Zelle (je steiler der Gradient, desto höher der Fluss – fast so wie bei einer Rutsche). Infolgedessen wird das Ruhemembranpotential negativer und die Wahrscheinlichkeit für eine Erregung sinkt. Zur Erinnerung: Um ein Aktionspotential auszulösen, muss das Schwellenpotential erreicht werden. Es liegt bei etwa -30 mV. Es macht also einen Unterschied, ob man bei -80 mV oder bei -100 mV startet.
Als Faustformel kann man sich also merken: Weniger Kalium = weniger Erregung.
Dies führt zu Ermüdung, Muskelschwäche, Reflexabschwächung, Lähmungen (Paresen) und Verstopfung.
Im EKG zeigen sich folgende Phänomene:
- Die T-Welle flacht ab und die U-Welle wird sichtbarer
- ST-Streckenveränderungen (v.a. ST-Senkungen) treten auf
- Gelegentlich ist die QT-Zeit verlängert
Quelle: James Heilman, MD, CC BY-SA 3.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0>, via Wikimedia Commons
Und jetzt folgt leider etwas, das man sich merken muss, weil es zunächst nicht sehr logisch klingt. Durch ein recht kompliziertes Zusammenspiel mit den Schrittmacherzellen des Herzens kommt es nicht einfach zu einer Bradykardie (was man vielleicht meinen könnte). Vielmehr führt eine Hypokaliämie zu einer Rhythmusinstabilität. Das bedeutet, dass Herzrhythmusstörungen bis hin zum Kammerflimmern auftreten können.
Therapiert wird die Hypokaliämie, indem Kalium substituiert wird. Bei milden Hypokaliämien kann dies oral erfolgen, bei ausgeprägteren Hypokaliämien wird es intravenös verabreicht. Zudem wird geprüft, ob Anpassungen an der Medikation vorgenommen werden müssen, denn insbesondere bestimmte Diuretika und Antihypertensiva haben einen Einfluss auf den Kaliumwert.
Hyperkaliämie
Bei der Hyperkaliämie ist es umgekehrt. Es steht extrazellulär mehr Kalium zur Verfügung, dadurch wird der Konzentrationsgradient flacher und weniger Kalium strömt aus der Zelle nach außen. Die Folge ist, dass das Ruhemembranpotential positiver wird und damit näher in Richtung des Schwellenpotentials rückt.
Als Faustformel gilt hier: Mehr Kalium = mehr Erregung.
Dies führt zu Muskelzuckungen und Gefühlsstörungen (Parästhesien).
Allerdings ist es auch hier leider wieder etwas komplizierter, denn insbesondere am Herzen kann eine Hyperkaliämie sowohl mit Bradykardien als auch mit Extrasystolen und schwersten tachykarden Herzrhythmusstörungen einhergehen.
Im EKG zeigen sich folgende Phänomene:
- Hohe, spitze T-Welle („zeltförmig”)
- Verbreiterung des QRS-Komplexes
- Bradykardien bis hin zur Asystolie
- Ventrikuläre Tachykardien bis hin zum Kammerflimmern
Quelle: Abdullah Sarhan, CC BY-SA 4.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0>, via Wikimedia Commons
Insbesondere die EKG-Befunde wurden hervorragend von den Kolleg:innen von Nerdfallmedizin aufgearbeitet. Schaut euch das Video doch direkt einmal an.
Therapiert wird eine Hyperkaliämie durch drei Prinzipien:
- Membranstabilisierung (z.B. durch Kalziumglukonat)
- Verschiebung von Kalium nach intrazellulär (z.B. durch ß2-Sympathomimetika)
- Elimination von Kalium (z.B. durch Schleifendiuretika)
Dies ist natürlich nur die Kurzform. Die Behandlung von Elektrolytstörungen ist manchmal eine echte Herausforderung. Insbesondere für Notfallsituationen sollte man daher ein paar „Kochrezepte” parat haben. Diese können beispielsweise in strukturierten Kursformaten, wie dem „ACLS Experienced Provider”-Kurs oder in Simulationstrainings erlernt und vor allem praktisch ausprobiert werden.