Verteile die Lerneinheiten

Im letzten Artikel hatten wir über die Notwendigkeit regelmäßiger Wiederholungen der Lerninhalte berichtet. In diesem Bericht möchten wir ein wenig tiefergehender begründen, wieso das Verteilen und das Wiederholen von Lerneinheiten so effizient ist und daher stets Bestandteil eines gelungenen Trainingskonzeptes sein sollte.

Spaced Repetition in der Theorie

Das Aufteilen und Wiederholen von Lernstoff in einem bestimmten System wird als “Spaced Repetition” bezeichnet. Das Prinzip wird oft beim Lernen von Vokabeln angewendet, ist aber viel universeller einsetzbar. Ein eher klassisches Beispiel ist der Karteikasten, bei dem eine Karteikarte, wenn sie gelernt wurde, in ein bestimmtes Fach eingeordnet wird, um sie nach einiger Zeit zu wiederholen. Wird ihr Inhalt immer noch richtig erinnert, rutscht sie in ein neues Fach, das etwas später wiederholt wird. Das wiederholt man bis die Karte irgendwann nur noch sehr selten wiederholt werden muss. Erinnert man den Karteninhalt nicht korrekt, wird die Karte in eines der vorangegangenen Fächer eingeordnet und dementsprechend schneller wiederholt. Neben dem analogen Karteikasten, gibt es auch digitale Spaced-Repetition-Systeme, wie die kostenfreie und sehr mächtige Software “Anki”.

Der Reiz eines Spaced-Repetition-Systems ist folgender: Man lernt nur die Dinge, die man auch wirklich wiederholen sollte. Ein einfaches Beispiel ist das Wort “Danke”, das man in nahezu jeder Sprache relativ schnell lernt und lange erinnern kann, während man ein Wort wie “Acetylcholinesteraseinhibitoren” vielleicht eher schlechter erinnert und häufiger wiederholen muss, wenn man nicht gerade beruflich mit Acetylcholinesteraseinhibitoren zu tun hat oder sich im Alltag gerne und vor allem häufig über Acetylcholinesteraseinhibitoren unterhält. 

Im Artikel zum Verstärkungslernen wurde bereits auf die Vergessenskurve nach Ebbinghaus eingegangen. Menschen vergessen gelernte Inhalte, insbesondere dann, wenn sie kontextlos sind (Ebbinghaus hatte in seinen Versuchen, unzusammenhängende Silben gelernt) nach einem relativ festen Muster. Nach 20 Minuten fehlen schon 40%, nach 60 Minuten 55%, nach einem Tag 76% und so weiter. Würde die These von Ebbinghaus vollkommen zutreffen, dürfte ein Effekt, wie bei “Danke” und “Acetylcholinesteraseinhibitoren” eigentlich nicht auftreten. Beide Wörter würde man bei gleicher Wiederholungszahl gleich gut erinnern. Zwar benutzt man “Danke” im Alltag viel öfter, allerdings erinnert man es auch dann besser, wenn man es eine Weile nicht in der Zielsprache benutzt hat. Wieso ist das so?

Die Antwort darauf ist wichtig, denn wenn wir sie verstehen, können wir Lernprozesse viel effektiver machen. Dazu müssen wir einen Blick in drei fundamentale biologische Prinzipien des Lernens werfen. Das erste ist die netzwerkartige Struktur des Gehirns, das zweite ist unsere Neigung zum Energiesparen und das dritte nennt sich Langzeitpotenzierung.

Netzwerkeffekte

Das Gehirn ist als Netzwerk organisiert. Nervenzellen (Neuronen) verbinden sich miteinander zu Synapsen und können auf diesem Wege Signale von einem Punkt zum nächsten senden. Das Gehirn verfügt über rund 80.000.000.000 (80 Milliarden) Nervenzellen und kann auf diesem Wege 100.000.000.000.000 Synapsen (100 Billionen) bilden. Stellt man sich diese Synapsen nun als Brücken vor, über die das Signal laufen kann und begibt sich in die Vogelperspektive, kann man zahlreiche kleine und größere Netzwerke sehen, die blitz- oder kreisartig geformt sind. Diese Netzwerke stellen die Speicherform von Informationen dar. Lernen wir ein neues Wort (z.B. Acetylcholinesteraseinhibitoren), wird dieses Wort in Form eines winzigen Netzwerkes gespeichert. Wie eine Art Morse-Code. 

Dabei wird das Wort mit zahlreichen anderen, bereits bestehenden Netzwerken verknüpft. Welche das sind, entscheidet sich, je nachdem, was wir über Acetylcholinesteraseinhibitoren erfahren haben und wie unser Vorwissen aussieht. Es könnte zum Beispiel mit dem Netzwerk verbunden werden, das Informationen über “Esterasen” enthält. Oder aber wir lernen vielleicht, dass es chemische Kampfstoffe gibt, bei denen die die Acetylcholinesterase gehemmt wird und es erfolgt eine Verknüpfung zu den Netzwerken, die mit “taktischen Einsatzlagen” zu tun haben. Ganz gleich, welche Verknüpfungen erfolgen: Sie sind notwendig zu Lernen und sie kosten Energie.

Energieaufwand

Alle Lebensvorgänge kosten Energie. Das gilt sowohl für Bakterien als auch für Wirbeltiere. Alle Lebewesen nehmen Energieträger auf und verwenden diese, um ihren Stoffwechsel aufrecht zu erhalten. Im Falle der Bakterien können diese Energieträger sehr vielgestaltig sein. So könnte es sich um Zucker oder Zellulose, aber auch um CO2 in Verbindung mit Sonnenlicht handeln. Tiere haben allesamt gemeinsam, dass sie auf Kohlenhydrate, Fette oder Proteine als Energieträger angewiesen sind. 

Aber ganz gleich, welcher Energieträger genutzt wird, es entsteht eine Energiebilanz, die im Idealfall neutral oder zumindest leicht positiv ist. Eine negative Energiebilanz führt über kurz oder lang dazu, dass bestimmte Leistungen des Organismus nicht mehr aufrechterhalten werden können. Alle Lebewesen können einige lebensnotwendige Prozesse für eine Zeit herunterfahren, um Energie zu sparen, allerdings gelingt das nicht auf Dauer. Da Nahrungsmittel über einige Millionen Jahre ein sehr begrenztes Gut waren, haben sich evolutionär betrachtet energiesparende Stoffwechselprozesse durchgesetzt. Dies bietet viel Leistung mit wenig Energieeinsatz.

Langzeitpotenzierung

Damit aber die richtigen Netzwerke gebildet werden und dann auch noch stabil bleiben, muss es neben dem einfachen Ausbilden von Synapsen noch etwas anderes geben. 

Eine kurze Erinnerung: Während wir diesen Text geschrieben haben, haben sich zahlreiche Synapsen bei uns gebildet und während Ihr ihn lest, bilden sich Unmengen an Synapsen bei Euch. 

Ob diese Synapsen aber erhalten bleiben, ist eine andere Frage. Jeder von uns kennt es, dass wir uns erst letzte Woche mit etwas Neuem und Lehrreichen befasst hatten, dann aber so sehr mit anderen Dingen beschäftigt waren, dass wir uns heute kaum noch an Details zu dem Thema erinnern können. Synapsen brauchen also einen stabilisierenden Mechanismus und der nennt sich Langzeitpotenzierung. Ziel ist, dass nicht nur ein starker Reiz eine Erinnerung zurückbringt (so zum Beispiel eine erneute Erklärung, was ein Acetylcholinesteraseinhibitor ist), sondern auch ein schwacher Reiz – so dass einem, wenn man über taktische Einsatzlagen spricht, direkt einfällt, dass es bestimmte Nervenkampfstoffe gibt, die die Acetylcholinsterase hemmen ohne dass diese nochmals explizit angesprochen wurden. Langzeitpotenzierung kostet aber ebenfalls Energie und steht somit dem Prinzip des Energiesparens entgegen. Es muss sich für das Gehirn also “lohnen” die Energie aufzuwenden.

Was hat das mit Spaced Repetition zu tun?

Da der Organismus und damit auch das Gehirn eine Tendenz zum Energiesparen haben, werden nur die Netzwerke dauerhaft aufgebaut, die als “wichtig” oder “relevant” markiert werden. Ziel ist es ja immerhin, möglichst viel für das eigene Überleben zu lernen ohne dabei eine negative Energiebilanz zu erhalten. Das Gehirn filtert also im großen Stil. In diesem Video könnt Ihr beim Lösen eines Kriminalfalles etwas über diesen Filterprozess lernen:

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Da der Filterprozess nicht abgeschaltet werden kann, benötigt das Gehirn Anreize dafür, bestimmte Dinge nicht zu filtern und das geht indem, das wir ihm immer wieder zeigen: 

DAS HIER ist relevantes Wissen! Der Energieeinsatz lohnt sich! Baue dafür ein Netzwerk und stabilisiere es durch Langzeitpotenzierung. Mache es jetzt! Gehe keine Umwege!

Wissen kann auf verschiedene Weisen als relevant markiert werden. Zwei Möglichkeiten sind starke Emotionen oder soziale Bedeutungen. Damit befassen wir uns zwei der folgenden Artikel. Eine andere ist das Wiederholen wie wir es ja bereits besprochen haben. Daneben wird der Energieeinsatz für das Gehirn geringer, wenn Lernstoff aufgeteilt, logisch gebündelt und regelmäßig um neues Wissen ergänzt wird.

Tipps für die Praxis:

  • Teile den Lernstoff in logische Häppchen
  • Verteile den Lernstoff so, dass die Wiederholungen am Anfang häufig sind und zunehmend seltener werden
  • Gehe nicht davon aus, dass neuer Lernstoff, der nicht wiederholt wurde, für die Teilnehmer:innen abrufbar ist.
  • Motiviere die Teilnehmer:innen Unterrichtseinheiten zuhause vor- und nachzubereiten. Dazu kannst Du auch Material zur Verfügung stellen oder Tests durchführen.
  • Ermittle regelmäßig, was Teilnehmer schlechter erinnern und erhöhe gezielt die Anzahl der Wiederholungen dieses Lerninhaltes.
  • Leider gibt es kein optimales Wiederholungsintervall für komplexe Lerninhalte. Es lohnt sich von daher, etwas herumzuprobieren und sich regelmäßig Feedback einzuholen.