Denken wir an Emotionen und gute Lehre, haben die meisten von uns sofort einen Gedanken dazu: Lehre sollte nicht trocken sein, sie sollte im Idealfall sogar Spaß machen oder einen zum Nachdenken anregen.
Und tatsächlich ist das keine Binsenweisheit, sondern lernpsychologisch gut abgesichert. Starke Emotionen fördern das biografische und deklarative Lernen. Man erinnert sich eher an Situationen, in denen etwas Spannendes passiert ist, als an emotional neutrale Momente. Das gilt natürlich nicht für jedes Gefühl gleichermaßen. So ist beispielsweise auch Langeweile eine Emotion.
Diese hat, wie alle Emotionen, mehrere Komponenten:
- Das unangenehme Gefühl der Langeweile ist die “affektive Komponente”.
- Das Gefühl, dass die Zeit stillzustehen scheint, wird als “kognitive Komponente” bezeichnet.
- Auf andere wirken wir dann durch Mimik und Gestik gelangweilt, was als “expressive Komponente” bezeichnet wird.
- Langeweile zeichnet sich auch durch eine geringe körperliche Aktivität aus: “physiologische Komponente”.
- Auch Langeweile kann anstrengend sein, denn wir wollen der Situation am liebsten entfliehen: “motivationale Komponente”.
All diese aufgezählten Komponenten schaffen keine gute Basis für den Lernprozess. Gelangweilte Menschen sind motivationslos, unkonzentriert, schwer körperlich aktivierbar und (im Zustand der Langeweile) nicht sehr an gemeinschaftlichen Aufgaben interessiert.
Daneben können auch andere Emotionen, wie Ärger, Lernbarrieren sein:
- Affektive Komponente: Ärger sorgt für ein Gefühl der Unruhe.
- Kognitive Komponente: Die Konzentration lässt nach bzw. ist auf das Objekt des Ärgers bezogen.
- Expressive Komponente: Ärger zieht durch Gestik und Mimik Aufmerksamkeit auf sich, wirkt dabei aber nicht einladend, sondern warnend.
- Physiologische Komponente: Ärger sorgt für eine Aktivierung der Stressachse und damit für einen Anstieg von Puls und Blutdruck und für eine Verengung des Fokus.
- Motivationale Komponente: Menschen, die sich ärgern, können sehr konfrontativ sein oder machen Dinge in ihrem Inneren durch kreisende Gedanken mit sich selbst aus. Die Motivation, sich mit einem “fremden Thema” zu beschäftigen, ist oftmals nicht sehr groß.
Natürlich können prinzipiell auch unangenehme Emotionen, wie Langeweile oder Ärger zu guten Lernergebnissen führen, etwa weil bei der Langeweile kreative Ablenkung gesucht wird oder weil Menschen, die sich ärgern mitunter sehr verbissen an einem Thema weiterarbeiten können. Grundsätzlich aber kann man festhalten, dass nicht jede Emotion gleichermaßen lernförderlich ist.
Wo kommen Emotionen her?
Emotionen entstehen im gesamten Gehirn, denn sie formen sich durch ein Zusammenspiel aus sensorischen Wahrnehmungen, innerer Verarbeitung und Bewertung sowie den nachfolgenden körperlichen Reaktionen. Das Signal springt dabei immer wieder hin und her. Dennoch wird vor allem das limbische System als Hauptort der Emotionsverarbeitung betrachtet. Es besteht aus verschiedenen Gehirnanteilen, die einen doppelten Ring um die Basalganglien und den Thalamus ziehen. Die beiden bekanntesten Bestandteile dürften der Hippocampus und die Amygdala sein. Das limbische System erhält afferente (ankommende) Signale aus dem restlichen Gehirn und aus der Körperperipherie und sendet seinerseits efferente (ausgehende) Signale in den restlichen Körper zurück. Ist das limbische System gestört, kann dies zu Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen und interessanterweise auch Gedächtnisstörungen führen.
Berühmt wurde der Fall von Henry Gustav Molaison, dem wegen einer schweren Epilepsie beide Hippocampi entfernt wurden und der sich infolgedessen keinerlei neue Informationen mehr merken konnte. Sein Langzeitgedächtnis aber blieb erhalten. Auch neue motorische Fähigkeiten konnte er lernen, obwohl er sich im Nachhinein nicht an den Lernvorgang erinnern konnte.
Warum fördern Emotionen das Lernen?
Emotionen und Lernen sind eng miteinander verknüpft, da sie uns etwas über unsere Umwelt verraten. Sind wir mehrfach am selben Ort vor einem wilden Tier davon gelaufen oder haben eine gefährliche Straße nur knapp lebendig überqueren können, wäre es ein evolutionärer Nachteil, wenn wir uns an diese Situation nicht leichter erinnern könnten als an ungefährliche Alltagssituationen. Das ist auch der Grund, warum sich trotz der oben genannten Beispiele Emotionen wie Ärger oder Angst als Triebkraft des Lernens eignen könn(t)en. Das Problem mit negativen Emotionen ist allerdings, dass nur schwer zu kontrollieren ist, was genau gelernt wird. Reagieren wir im Straßenverkehr aufgrund negativer Vorerfahrungen mit Vorsicht, ist das sehr wünschenswert. Allerdings heißt das nicht, dass wir die Verkehrsregeln verstanden haben. Wir haben lediglich eine gute und ressourcenschonende Strategie gefunden, um mit potenziellen Gefahren umzugehen.
Warum muss man negative Emotionen aushalten können?
Es ist sehr sinnvoll, Lernen nicht notwendigerweise als etwas zu betrachten, das in jedem Falle Spaß machen muss. Spaß ist gut und sollte nicht zu kurz kommen, aber es gibt einen wichtigen Unterschied zwischen Bildung und Entertainment. Die Teilnehmer:innen sollten vielmehr dazu befähigt werden, ihren eigenen emotionalen Zustand erkennen und kritisch hinterfragen zu können. Das kostet viel Arbeit, denn Emotionen sind energiesparende Abkürzungen, die es einem ermöglichen, nicht auf alle alltäglichen Dinge energieintensive kognitive Prozesse anwenden zu müssen. Allerdings lohnt es sich, diese Fähigkeiten weiter zu entwickeln, denn obwohl der Weg dahin steinig ist, scheinen Menschen mit einer guten Emotionsregulation erfolgreicher und zufriedener zu sein. Und das Beste ist: Alles deutet darauf hin, dass Emotionsregulation in einem gewissen Maße trainiert werden kann.
Côté S, Gyurak A, Levenson RW. The ability to regulate emotion is associated with greater well-being, income, and socioeconomic status. Emotion. 2010 Dec;10(6):923-33. doi: 10.1037/a0021156. PMID: 21171762; PMCID: PMC4175372.
Zhang Y, Fu R, Sun L, Gong Y, Tang D. How Does Exercise Improve Implicit Emotion Regulation Ability: Preliminary Evidence of Mind-Body Exercise Intervention Combined With Aerobic Jogging and Mindfulness-Based Yoga. Front Psychol. 2019 Aug 27;10:1888. doi: 10.3389/fpsyg.2019.01888. PMID: 31507480; PMCID: PMC6718717.
Wie kann man die eigenen Emotionen erkennen und kritisch hinterfragen?
Es ist für jeden von uns unheimlich schwer, die Vogelperspektive einzunehmen und den eigenen emotionalen Zustand zu erkennen. Das ist allerdings die Voraussetzung, um eine gezielte Emotionsregulation vornehmen zu können. Um die eigene Unruhe, Langeweile oder Wut in den Griff zu bekommen, muss man wissen, dass man unruhig, wütend oder gelangweilt ist.
Für Lehrende lohnt es sich daher in drei Schritten vorzugehen:
- Lernende müssen Emotionen zunächst einmal verstehen: Wo kommen sie her? Warum sind sie notwendig? Wo stehen sie einem im Weg? Welche Komponenten haben sie (s.o.)?
- Sobald die Grundlagen erarbeitet sind, können während des gemeinsamen Unterrichtsalltags regelmäßige Selbstreflektionsübungen stattfinden, um den Kontakt zu den eigenen Emotionen zu stärken. Hierbei gilt es zunächst nur, die eigenen Emotionen wahrzunehmen, ohne sie zu beeinflussen. Dabei können auch Atemübungen oder Meditationstechniken von großem Nutzen sein.
- Nach und nach kann die Reflektion der eigenen Emotionen auch im Rahmen praktischer Trainings angewendet werden. Hierfür ist natürlich ein geschützter Raum notwendig. Die Teilnehmenden können dann, etwa während eines laufenden Simulationsszenarios, in dem es zu emotionalen Reaktionen oder Stressanzeichen kommt, aufgefordert werden, ihre Gefühle zu benennen, sich zu sammeln und im Anschluss fokussierter an ihre Aufgabe heranzugehen.
Tipps für die Praxis:
Was sind Emotionen?
- Emotionen regeln das menschliche Zusammenleben und ermöglichen relativ energiesparende Reaktionen auf verschiedenste Situationen im Alltag.
- Das limbische System ist der neurophysiologische Schlüssel für die Entstehung von Emotionen
- Ohne limbisches System ist es nicht möglich, das Kurzzeitgedächtnis (und damit nachfolgend auch das Langzeitgedächtnis) mit neuen Informationen zu füllen.
Emotionen haben 5 Komponenten:
- Affektive Komponente
- Kognitive Komponente
- Expressive Komponente
- Physiologische Komponente
- Motivationale Komponente
Warum ist Emotionsregulierung wichtig?
- Unterricht der emotional anregend ist, sorgt für bessere Gedächtnisleistungen
- Es gibt allerdings Emotionen, die ein Lernhindernis darstellen können (z.B. Langeweile, Ärger, Traurigkeit, Angst, etc.)
- Menschen, die ihre Emotionen gut regulieren können, sind im Durchschnitt zufriedener und haben einen größeren Lebenserfolg.
Emotionsregulation braucht drei Schritte:
- Sorge dafür, dass Deine Teilnehmer:innen wissen, was Emotionen eigentlich sind, aus welchen Komponenten sie bestehen, wo sie Vorteile bringen und wo sie Nachteile haben.
- Sorge dafür, dass Deine Teilnehmer:innen sich regelmäßig selbst beobachten und ihre Emotionen, sowie die deren Komponenten benennen und beschreiben können.
- Sorge dafür, dass Deine Teilnehmer:innen diese Reflektion sukzessive in den einzelnen Lerneinheiten durchführen und ihre Emotionen dann eigenverantwortlich und gezielt regulieren.