Gerade in der medizinischen Ausbildung ist sehr klar, dass dem Transfer von Lerninhalten eine große Bedeutung zukommt. Um jedoch zu verstehen, was die konkrete Herausforderung beim Transfer ist, sollte man zunächst einen kleinen Schritt zurück gehen und sich mit der Operationalisierung von Lerninhalten befassen.
Lernziele benötigen Operatoren, um klare Anforderungen stellen zu können. Operatoren sind immer Verben, die als konkrete Aufgabe zu verstehen sind: Beschreiben, messen, nennen, analysieren, etc.
Operatoren dienen zum einen der klaren Formulierung von Aufgabenstellungen. Wird “Nennen” verlangt, reicht ein “Beschreiben” nicht aus. Zum anderen vereinfachen Operatoren den Umgang mit komplexen Themen. Wie wir alle wissen wird weder in Schulen noch innerhalb der betrieblichen Ausbildung “die Realität” so abgebildet, wie sie sich uns allen im alltäglichen Leben stellt. Das wird manchmal als Problem dargestellt, ist aber eigentlich kaum zu vermeiden.
Bereits die genaue Kenntnis der verschiedenen Operatoren, hilft bei der Bewältigung der gestellten Aufgaben. Wer hat es nicht selbst in der Schulzeit schon einmal erlebt, dass man in einer Klausur eine gute Leistung erbracht, aber Punktabzug erhalten hat, weil man “an der Aufgabe vorbei gearbeitet” hat? Das ist ärgerlich, aber aus pädagogischer Perspektive nicht unsinnvoll. Wer sich früh mit den Operatoren beschäftigt, versteht die Denkweise von Lehrpersonal besser und wird es im Verlauf einfacher haben, gestell Anforderungen zu erfüllen.
Vor allem aus der allgemeinbildenden Schule sind drei Anforderungsbereiche bekannt:
- Anforderungsbereich I: Reproduktion
Wissen und Fertigkeiten sollten erinnert und auf verschiedene Arten präsentiert werden können. Typische Operatoren des Anforderungsbereichs I sind z.B.:- beschreiben, charakterisieren, ermitteln, herausarbeiten, lokalisieren, nennen und wiedergeben
- Anforderungsbereich II: Reorganisation und Transfer
Wissen und Fertigkeiten sollten auch außerhalb des bisherigen Kontextes genutzt und dargestellt werden können. Typische Operatoren des Anforderungsbereichs II sind z.B.:- analysieren, darstellen, ein- und zuordnen, erklären, erläutern, gliedern und vergleichen
- analysieren, darstellen, ein- und zuordnen, erklären, erläutern, gliedern und vergleichen
- Anforderungsbereich III: Reflexion und Problemlösung
Wissen und Fertigkeiten sollten auch in verschiedenen Kontexten und Situationen zielgerichtet eingesetzt und kritisch diskutiert werden können. Typische Operatoren des Anforderungsbereichs II sind z.B.:- begründen, beurteilen, bewerten, erörtern bzw. diskutieren und gestalten
Das Problem mit Operatoren in der medizinischen Bildung
Viele bekannten Operatoren beschreiben (medizinische) Tätigkeiten allerdings nicht sehr gut. Gerade bei praktischen Fertigkeiten fehlen manchmal konkrete Operatoren. Zumeist werden daher “durchführen” oder “demonstrieren” genutzt. Das Problem ist allerdings, dass sie sich nicht eindeutig einem Anforderungsbereich zuordnen lassen. Ist eine “Durchführung” einzelner Aufgabenschritte nicht so ähnlich wie das “Nennen” (Anforderungsbereich I) dieser Schritte? Und ist die Durchführung einer Handlung im Sinne eines komplexen Simulationsszenarios mit anschließender Reflexionsphase nicht gleichzeitig ein “Diskutieren” (Anforderungsbereich III) der eigenen Handlungen?
Aus diesem Grunde ist es manchmal gar nicht so einfach mit den einzelnen Operatoren zu arbeiten, auch wenn die Anforderungsbereiche grundsätzlich auch im medizinischen Kontext sinnvoll sein könnten.
Da viele Handlungen im medizinischen Bereiche praktische Tätigkeiten sind, sollte stets überlegt werden, welches Wissen und welche Fertigkeiten für eine Anwendung benötigt werden. Je nachdem, welches Vorwissen zur Verfügung steht, kann die “Durchführung” auf einem anderen Kompetenzlevel erfolgen. Für die Vorbereitung einer Intubation brauche ich anderes Wissen und ein anderes Trainingsniveau als für die Durchführung einer Notfallnarkose.
Wichtig: Eine Durchführung ist immer eine Sequenz, die aus mehreren Teilschritten steht, die unterschiedlich operationalisiert werden müssen!
Während vor allem Aufgaben des Anforderungsbereiches I sehr schnell durch ausreichende Wiederholung bewältigt werden können, ist dies mit den Anforderungsbereichen II und III deutlich schwieriger. Ziel eines guten Trainings ist es, diesen Übergang zwischen den verschiedenen Kompetenzleveln zu fördern.
Dies gelingt am besten, indem zunächst definiert wird, auf welchem Kompetenzniveau ein/e Lernende:r befindet. Eine Transferleistung wird nicht möglich sein, wenn bestimmte Grundlagen (etwa das “Nennen” bestimmter Schritte im Ablauf) nicht vorhanden sind. Diese müssen zunächst erarbeitet bzw. mitgeteilt und eingeübt werden. Erst im Anschluss daran können verschiedene Vorgehensweisen diskutiert (Anforderungsbereich II) und bewertet (Anforderungsbereich III) werden. Im Rahmen dessen müssen Handlungsoptionen stets dargelegt, verglichen und beurteilt werden (“Eine Narkose funktioniert auch dann, wenn das Muskelrelaxans zuerst gespritzt wird, dies ist allerdings eine erhebliche Belastung für die Patienten. Daher darf es nicht in dieser Reihenfolge geschehen.”).
Ein Fallstrick
Das muss allerdings nicht dadurch geschehen, dass die Lernorte durcheinander gebracht werden. In der Berufsfachschule oder einem Trainingszentrum müssen Brücken für die Transferleistungen aus Büchern oder praktischen Übungen hin zur beruflichen Praxis geschaffen werden. Dabei gilt es jedoch nicht, immer die berufliche Realität exakt zu kopieren.
Nicht selten werden Trainer:innen mit folgenden Einwänden konfrontiert:
- “Bei mir im Dienst klappt das aber immer.”
- “Ich konnte mich nicht gut in den Fall reinfinden.”
- “Wie will denn die Schule, dass wir es machen? In der Realität ist es ja eh anders.”
Das erzeugt oftmals einen Widerspruch, denn die Teilnehmenden sind ja vor allem deshalb in einem Training, um in ihrer beruflichen Realität bessere Leistungen erzielen zu können.
Diesen Widerspruch aufzulösen ist ein Kernziel pädagogischer Arbeit. Dabei muss nicht immer nachgegeben werden. Es ist in vielen Kontexten absolut legitim, Teilnehmende darauf hinzuweisen, dass von ihnen auch eine gute Aufgabenerfüllung in einer Simulation erwartet wird, unabhängig davon, ob die Simulation ein perfektes Abbild ihrer beruflichen Realität ist. Ein Transfer kann auch dann gelingen, wenn ein unterricht gut strukturiert und operationalisiert ist, ohne dass alles zu 100% realistisch ist. Der Trainierende selbst trägt auch immer die Aufgabe, das gelernte zu reflektieren und auf seine lokalen Gegebenheiten anzuwenden. Dabei kann man ihm natürliche Hilfestellung geben.
Tipps für die Praxis:
- Nutze Operatoren bei der Konzeption von Lernzielen
- Überlege, welcher Anforderungsbereich berührt ist. Geht es um Wiedergabe, Transfer und/oder Reflexion?
- Lege immer klar dar, welche Erwartungen eine Aufgabe an die Teilnehmenden hat.
- Erwäge immer, dass Operatoren nicht perfekt sind und gestalte Lernziele entsprechend und nötigenfalls sehr breit
- Viele Operatoren sind insbesondere bei der praktischen Ausbildung nicht ausreichend
- Überlege in so einem Fall, was das konkrete Ziel der Übung ist. Geht es beim “Durchführen” um ein Einüben der Skills oder das Anwenden in einer komplexen Arbeitsumgebung? Welche einzelnen Operatoren braucht man für eine Handlungssequenz?
- Betone, dass Transferleistungen und nicht die exakte Abbildung der Realität das Ziel eines Trainings sind
- Es geht nicht immer darum, die Realität abzubilden.
- Allerdings müssen Trainer:innen den Wert einer Lernsituation für den praktischen Kontext vermitteln können.
- Dies kann in bestimmten Fällen durchaus auch einmal ein abstrakter Wert sein (“Dieses Wissen gehört zum medizinischen Wissenskanon und ist daher wichtig.”)
- Gestalte Unterrichtssituationen, in denen Transferleistungen eine Rolle spielen
- Mache Teilnehmer:innen immer deutlich, dass das Ziel niemals die bloße Erfüllung der Aufgaben in der Trainingssituation ist.
- Frage Vorwissen und Vorerfahrungen ab.
- Führe Nachbesprechungen von Praxiseinsätzen durch.
- Erstelle Lernszenarien, in denen mögliche Transferleistungen bereits erkennbar sind.
- Ermutige die Teilnehmenden, ihre eigenen Transferideen im Rahmen von Trainings oder Unterrichten einzubringen und zu diskutieren.