Schaffe psychologische Sicherheit

In Simulationstrainer-Ausbildungen wird relativ früh das Konzept der psychologischen Sicherheit eingeführt. Es soll die zukünftigen Teilnehmer:innen der angehenden Simulationstrainer:innen davor bewahren, sich in Lernsituationen unwohl oder gar gefährdet zu fühlen.

Gründe für ein ungutes Gefühl bei Lernenden sind zahlreich. So können fehlendes Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten oder missbräuchliche Hierarchiegefälle dafür sorgen, dass Teilnehmende sich in einer Situation nicht wohl fühlen und viele kognitive Ressourcen darauf verwenden, sich selbst vor potenziellen Gefahren zu schützen. Ashauer und Macan konnten im Jahr 2013 in einer Studie zeigen, dass Lernleistung und Lernergebnisse sich bei gefühlter psychologischer Sicherheit deutlich erhöhen lassen. Dies wurde unter anderem von O’Donovan und McAuliffe im Jahr 2020 bestätigt.

Die erste Definition psychologischer Sicherheit erfolgte im Jahr 1999 durch Amy Edmondson. Seither wurde vor allem auch das Wechselspiel zwischen dem Sicherheitsgefühl des Einzelnen und dem Gruppenverhalten untersucht. Das macht eine Übertragung auf pädagogische Lern-Lehr-Arrangements auch bei primär nicht-pädagogischen Studien sehr einfach. Denn insbesondere die moderne Pädagogik stellt die Kompetenzen des Einzelnen weit in den Vordergrund und moderiert den möglichen Kompetenzzuwachs aller Teilnehmenden daneben maßgeblich über Gruppeninterventionen und über das Setzen von formellen und informellen Regeln im Unterricht. 

Was könnte dieses Phänomen erklären?

Es gibt verschiedene mögliche Erklärungen für dieses Phänomen. Eine davon ist das vielen Trainer:innen bereits bekannte Yerkes-Dodson-Gesetz. Die Publikation von Robert Yerkes und John Dodson ist bereits 1908 erschienen und geht auf Experimente an Mäusen zurück. Die beiden Psychologen fanden heraus, dass Erregungsniveau (etwas freier mit “Stress” übersetzbar) und Leistungsfähigkeit sich nicht linear beeinflussen. Denn obwohl die Leistungsfähigkeit ohne Stress niedrig ist und mit zunehmendem Stress ansteigt, erreicht sie ab einem gewissen Punkt ein kurzes Plateau, das den Punkt der optimalen Leistungsfähigkeit widerspiegelt. Bei zunehmendem Erregungsniveau sinkt die Leistungsfähigkeit dann schnell wieder ab. 

Beschrieben werden können also grob drei Bereiche:

  • Unterforderung: Geringer Stress, geringes Leistungsniveau
  • Optimale Leistungsbereitschaft: Mittlerer Stress, hohes Leistungsniveau
  • Überforderung: Hoher Stress, geringes Leistungsniveau

https://de.wikipedia.org/wiki/Yerkes-Dodson-Gesetz#/media/Datei:Yerkes_dodson_gesetz.svg

Es sollte allerdings beachtet werden, dass diese Kurve nicht statisch ist. Sie ist ein ungefähres Modell und ist bei jedem von uns anders ausgeprägt. Sie schwankt zudem mit Tagesform, Motivation und äußeren Umständen. 

Auch müssen wir daran denken, dass dieses Modell lediglich eine Art der Beschreibung ist und auch andere Modelle das Prinzip der psychologischen Sicherheit erklären könnten.

Welche Beispiele für Verletzungen der psychologischen Sicherheit gibt es?

Es gibt zahlreiche Anlässe, die das Prinzip der psychologischen Sicherheit verletzen können. Für uns als Lehrende und Praxisanleitende steht natürlich die Lehre im Vordergrund. Allerdings sollten sich auch Führungskräfte in Betrieben mit diesem Thema befassen.

So könnten Verletzungen der psychologischen Sicherheit zum Beispiel in folgenden Situationen auftreten:

  • Der Vorgesetzte nimmt ebenfalls am Training teil.
  • Konflikte aus dem Betrieb werden mit in das Training genommen.
  • Training und Prüfung gehen nahtlos ineinander über.
  • Es werden persönliche Grenzen überschritten (etwa durch Beleidigungen oder Anzüglichkeiten).
  • Die Leistung eines Teilnehmenden wird schlecht geredet oder herablassend kommentiert.
  • Die Trainer:innen nehmen “unangenehm viel Raum ein”, etwa indem sie die eigenen Erfahrungen ständig hervorheben und den Teilnehmenden so das Gefühl geben, dass ihre eigenen Erfahrungen kaum zählen.
  • Einzelne Teilnehmer:innen nehmen unangenehm viel Raum ein und die Trainer:innen versäumen es, dies angemessen zu moderieren.

Betrachtet man die Beispiele genauer, haben sie alle etwas mit dem Verhältnis der Menschen in einer sozialen Gruppe zu tun. Das Problem dreht sich immer um die Frage, wer in welcher Position mit wem interagiert, wer dabei zuschaut und wie übereinander gedacht und gesprochen wird.

Dabei können natürlich auch schon scheinbar harmlose Situationen verunsichern. Wer erinnert sich nicht an die ersten i.v.-Zugangsanlagen, bei denen sowohl ein Praxisanleitender als auch der jeweilige Patient und zudem möglicherweise noch Angehörige zugeschaut haben? Selbst wenn alle beteiligten Personen sehr wohlwollend waren, ist das Stressniveau durch die enorme intrinsische Last sehr hoch. Wenn man dann noch in einem Klima der Verunsicherung arbeitet, weil ständig schlecht über Mitarbeitende gesprochen wird, die handwerklich ungeschickt sind, kann dies zu schlechteren Lernleistungen führen.

Wie kann man die psychologische Sicherheit fördern?

Die Antwort auf diese Frage hängt ein wenig davon ab, welche Ursachen für eine mögliche psychologische Unsicherheit vorliegen. 

Gerade das letztgenannte Beispiel ist kompliziert, denn es handelt von den Dynamiken innerhalb von Arbeitsstätten. Natürlich haben Patient:innen einen Anspruch darauf, gut versorgt zu werden und handwerklich ungeschickte Kolleg:innen haben die Pflicht, ihre Defizite auszugleichen. Kommen sie dieser Pflicht nicht nach, kann das schnell zum Gefühl der Machtlosigkeit und zu Frustration in der Gruppe führen, in deren Folge es zu Lästereien oder Gehässigkeiten kommt. Das aber schafft ein Klima der Unsicherheit für Lernende (und Angestellte, die ja auch täglich dazu lernen). 

In diesem Falle helfen folgende Aspekte:

  • Klare Teamstruktur, in der die Mitglieder ihre Rolle und vor allem ihre Pflichten im Team verstehen. Dies wird durch gute Führung und nachvollziehbare Prozesse ermöglicht. Auch Eigenengagement und Werteorientierung der Mitarbeitenden spielen hier eine Rolle, können aber die erstgenannten Punkte nicht ersetzen.
  • Starke Beziehungen zwischen den Teammitgliedern fördern den Zusammenhalt und damit das Sicherheitsgefühl. Dies kann sowohl durch gute Führung als auch durch Engagement der Mitarbeitenden erreicht werden.
  • Wertebasierte Führung, offene Kommunikationskultur und ein klares Identifikationsangebot an Mitarbeitende durch ein gemeinsames Leitbild.

Etwas einfacher ist es, psychologische Sicherheit in einzelnen Trainings herzustellen, denn oftmals ist man als Trainer:in in einer neutralen Position und kann diese dazu nutzen, moderierend einzuwirken. Das wichtigste Prinzip ist auch hier die pädagogische Haltung. Trainer:innen sind verantwortlich für das Wohlergehen ihrer Teilnehmenden. 

Tipps für die Praxis:

Was ist psychologische Sicherheit und was bewirkt sie?

  • Psychologische Sicherheit bedeutet, dass Lernende (oder Angestellte) sich als Menschen angenommen fühlen, wissen, dass sie fair behandelt werden und dass mit ihren Fehlern konstruktiv umgegangen wird.
  • Mögliche Gründe für ein Fehlen von psychologischer Sicherheit sind fehlendes Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten oder missbräuchliche Hierarchiegefälle.
  • Das Gefühl von psychologischer Sicherheit erhöht den Lernerfolg und sollte daher im Fokus der pädagogischen Arbeit stehen.

Wieso beeinflusst das psychologische Sicherheitsgefühl die Lernleistung?

  • Hierzu existieren mehrere Konzepte.
  • Eine mögliche Erklärung könnte das Yerkes-Dodson-Modell geben: Stressniveau und Leistungsfähigkeit stehen in einem Verhältnis zueinander. Stress kann zwar förderlich sein, führt aber ab einem gewissen Niveau zu einem Abfall der Leistungsfähigkeit.
  • Kurz gesagt: Wer mit dem Abwehren von großen Gefahren beschäftigt ist, hat keine Ressourcen mehr für das eigentliche Lernthema.

Trainer:innen sollten auf die Einhaltung von vier Prinzipien achten:

  • Es braucht das Wissen, um psychologisch verunsichernde Situationen zu erkennen und Interventionen zu planen.
  • Es braucht die Gelassenheit, um mit dem eigenen Stresslevel oder der eigenen Frustration konstruktiv und teilnehmerzentriert umzugehen.
  • Es braucht den Mut, Fehler und Störungen anzusprechen, ohne herablassend oder verletzend dabei zu sein.
  • Es braucht einen Sinn für Gerechtigkeit, um den Interessenausgleich innerhalb der Gruppe immer wieder von neuem herstellen zu können.

Psychologische Sicherheit kann zudem unter anderem durch folgende Techniken gefördert werden:

  • Bei Konflikten vor allem auf der Sachebene bleiben.
  • Beziehungs- und Appellebene konstruktiv nutzen, um die Gruppe zu stärken.
  • Verständnis für Schwächen haben, die nicht in diesem Training behoben werden können. Den individuellen Lernerfolg betonen.
  • Genügend Zeit einplanen, um Wiederholungen oder Vertiefungen zu ermöglichen.
  • Das Prinzip des “sicheren Raumes” erklären und mit den Teilnehmenden einen mündlichen Vertrag schließen: “Was im Training passiert, bleibt im Training.”