Hilf bei der Zielsetzung

Wie setzt man die richtigen Ziele beim Lernen? Diese Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten, denn dazu muss man zunächst überlegen, welche Art von Zielen eigentlich gemeint ist. Geht es darum, eine Aufgabe zu einem bestimmten Zeitpunkt zu erfüllen? Geht es darum, eine Sache so gut zu verstehen, dass man sie gar nicht mehr vergessen kann? Oder geht es darum, mit wenig Aufwand zum Ziel zu kommen?

Für Lernende sind diese Varianten sind erlaubt, denn sie alle machen ihnen den Alltag zunächst einmal leichter leichter. Die folgenden zwei empfehlen wir allerdings nicht, denn unser Ziel ist nachhaltiges Lernen. Dennoch geben wir jeweils zwei Tipps für den Notfall.

– Binge-Learning:

Habe ich eine wichtige Prüfung an einem bestimmten Tag und habe möglicherweise zu lange gewartet, um noch alles kleinschrittig lernen zu können, bin ich vielleicht kurzfristig gezwungen, viel Stoff zu bewältigen, der aber nicht langfristig gespeichert wird. Das muss nicht unbedingt unsere Schuld als Lernende sein. So könnten eine schwierige Situation in der Familie vorliegen, die im Vorfeld der Prüfung nicht gelöst werden kann und viel Zeit frisst oder andere Lebensbereiche, wie der Beruf, erfordern viel Aufmerksamkeit und wir als Lernende müssen mit unseren Ressourcen haushalten.

Die wichtigsten zwei Regeln hier sind:
1) Inhaltsverzeichnisse sind Deine Freunde. Schau bei den Büchern, die die Fächer abdecken, wie sie gegliedert sind und überlege Dir, wie Du den Stoff sinnvoll strukturieren kannst.
2) Bringe in Erfahrung, was in jedem Falle Inhalt der Prüfung sein wird und nutze das Inhaltsverzeichnis, um Deine Lern-Lücken aufzudecken und zu jedem wichtigen Bereich ein Orientierungswissen aufbauen zu können.

– 80-20-Prinzip:

Manchmal ist es auch legitim, mit wenig Aufwand zum Ziel zu kommen. Bei der theoretischen Führerscheinprüfung etwa reicht das bloße Bestehen. Wer erinnert sich noch? Die einzelnen Fragen sind mit Punkten versehen und man darf höchstens 10 Fehlerpunkte sammeln. Zudem gibt es besondere Fragen, die jeweils 5 Fehlerpunkte einbringen, wenn man sie falsch beantwortete (z.B. Vorfahrtsfragen). Hier durfte man lediglich eine falsche Antwort haben. Gelang das, war es allerdings egal, wer wie viele Punkte bekam. Hatte man bestanden, wurde kein Numerus clausus ausgerechnet und man konnte ohne Nachteile in die praktische Fahrprüfung gehen.

Die wichtigsten zwei Regeln hier sind:
1) Bringe in Erfahrung, was dich das Bestehen kosten kann. Diese Themen musst Du in aller Gründlichkeit lernen und bestenfalls auch verstehen (etwa die oben genannten Vorfahrtsregeln)
2) Beschäftige Dich relativ wenig mit Randthemen. Natürlich kann man auch “nur” mit mangelndem Wissen in diesen Bereichen durchfallen. Die Chancen sind allerdings gering.

Wie aber bereits gesagt sind beide Lernformen nicht nachhaltig. Sie ermöglichen es uns kurzfristige notwendige Erfolge zu erzielen, mehr allerdings im Regelfall nicht. Sind wir aber Lehrende oder Praxisanleitende in der Medizin sollte unser Ziel in keinem Falle sein, dass die Lernenden, für die wir verantwortlich sind, nur aufs bloße Bestehen setzen. Es ist notwendig für sie, Dinge so zu lernen, dass sie langfristig erhalten bleiben und ihnen als Behandelnde im Berufsalltag dienen. Sie brauchen teilweise auch einzelne Wissensfragmente zum Verständnis komplexer Zusammenhänge, etwa in der Pharmakologie. Dabei reicht es manchmal nicht nur zu wissen, “wo etwas steht”. 

Eine wesentliche Hilfe dabei sind natürlich auch die bisherigen Tipps, die wir vorgestellt haben (etwa Booster-Trainings). Allerdings können wir Lernende auch unterstützen, indem wir ihnen helfen Lernziele (oder vielleicht besser Kompetenzziele?) zu setzen und indem wir sie dahingehend beraten, sich von “Leistungszielen” zu verabschieden. Leider ist gerade das Wort “Leistungsziele” im Deutschen kein schöner Begriff. Er stammt vom englischen Begriff “Performance goal” und grenzt sich von den Lernzielen (“Learning goals”) ab. Leistungsziele sind kurzfristige Ziele, die auf das Abrufen einer definierten Leistung zu einem bestimmten Zeitpunkt abzielen (im Grunde also geht es bei ihnen um die beiden Varianten, die wir oben vorgestellt haben). Es gibt Hinweise darauf, dass Lernende, die sich Lernziele und keine Leistungsziele gesetzt haben, eher davon ausgehen, dass Intelligenz trainiert und erweitert werden kann. Sie reagieren besser auf Feedback und lassen sich weniger schnell von herausfordernden Aufgaben demotivieren (Mangels et al. 2006).

Welche Aufgaben haben Lehrende hierbei?

Uns Lehrenden kommt bei der Zielsetzung eine Schlüsselrolle zu. Natürlich können wir die Köpfe der Lernenden nicht manipulieren, wie ein Programmierer ein Computerprogramm. Wir können aber durch überzeugende Argumente, Hilfestellungen und eine solide Vertrauensbasis dafür sorgen, dass Lernende den Sinn von Lernzielen verstehen und sich zunehmend von Kompetenzzielen verabschieden. 

Dazu muss zum einen der Rahmen der Lerneinheiten geändert werden. Der Lernprozess an sich, bei dem die eigenen Schwächen erkannt und für den Wissenserwerb genutzt wurden, muss stärker in den Fokus gerückt werden, während verdeutlicht werden sollte, dass der Unterricht nicht dazu dient, die eigenen Fähigkeiten vorzuführen oder zu beweisen. Als Lehrende kennen wir alle die Kurse und Klassen, in denen es einige sehr leistungsstarke Teilnehmer:innen gibt, die sich immer wieder mit teilweise recht beeindruckendem Wissen hervortun. Dabei ist zunächst nicht immer klar, ob es sich wirklich bereits um ein gewisses Niveau an Handlungskompetenz handelt oder ob gerade diese Lernenden nicht “nur” einfach sehr gut erspüren, mit welchem Wissen und welchen Fertigkeiten, sie Lehrende oder ihre Lerngruppe beeindrucken können. Man könnte also sagen, dass sie eine gute “Testkompetenz” haben. Sowohl sie als auch die anderen Lernenden profitieren enorm von einer Fokusverschiebung auf “echte Lernziele”, bei denen es nicht darum geht, sich beweisen zu müssen. 

Daneben kann auch eine organisatorische Änderung sinnvoll sein. Anstatt große Prüfungen abzuhalten, bei denen es “um alles” geht, sollten viele kleine Assessments, bei denen das Ziel nicht jedes mal das Bestehen mit einer Bestnote ist, abgehalten werden. Dies nimmt den Lernenden den Druck, zu jedem Anlass “Binge-Learning” zu betreiben und eröffnet ihnen die Möglichkeit, sich auf echte Lernziele einzustellen. Die Rückmeldungen zu den Kompetenzprüfungen erfolgen im Idealfall in einem persönlichen Gespräch, in dem Stärken und Schwächen herausgearbeitet werden können. Das ist sicherlich im Lehralltag nicht immer möglich, sollte aber ab und an erfolgen, um zu diesem Zeitpunkt auch bei der Formulierung von neuen Lern- bzw. Kompetenzzielen unterstützen zu können.

Wie aber können gute Lernziele formuliert werden?

Wir haben ja in einem anderen Artikel bereits die Notwendigkeit von operatorenbasierten Lernzielen vorgestellt. Im Idealfall sollten die Lernziele durch die Lernenden mit Unterstützung der Lehrkraft selbst formuliert bzw. gewählt werden. Dies hilft vor allem dabei, Lernziele so zu formulieren, dass sie greifbarer und damit auch praktischer werden. Unter anderem wird dadurch der Transfer deutlich erleichtert. Dafür kann auch ein Akronym aus dem Projektmanagement angewendet werden. Die SMART-Formel:

S pezifisch

M essbar

A kzepiert

R ealistisch

T erminierbar

Ein Beispiel für ein Lernziel, das diesen Kriterien entspricht wäre:

“Ich möchte in zwei Monaten in der EKG-Prüfung die Endstrecken sicher interpretieren, um eine Sauerstoffunterversorgung des Herzmuskels erkennen zu können.”

Das Lernziel ist spezifisch, denn es ist sehr klar, worum es geht. Es ist messbar, denn es gibt objektive Kriterien für die Beurteilung von ST-Strecke und T-Welle, es ist akzeptiert, denn der Lernende hat es sich selbst ausgewählt. Auch ist es realistisch und terminiert, das Ziel innerhalb der gewählten Zeit umzusetzen. Mit der “Interpretation” versteckt sich sogar ein Operator im Beispiel.

Damit das Lernziel nun allerdings nicht wieder zu einem reinen “Performance goal” verkommt, sollten noch zwei Dinge besprochen werden:

  1. Wie soll der Weg dahin aussehen und in welche Teilschritte lässt er sich untergliedern? (z.B. in “Die normale Endstrecke”, “Beurteilung der T-Welle”, “Beurteilung von ST-Senkungen”, Beurteilung von ST-Hebungen, o.ä.)
  2. Was passiert, wenn es in den zwei Monaten nicht klappt? Hier sollte der Fokus ein Stück weit vom Assessment weggerückt werden, denn es geht um den Lernprozess und nicht um die Prüfung. Wenn der Lernprozess drei Monate dauert, dauert er eben drei Monate und innerhalb von zwei Monaten ist ja vielleicht auch schon einiges gelernt worden. Daher sollte natürlich bei der Bewertung eine fachliche Strenge vorhanden sein (…es gibt immerhin klare Kriterien für die Endstreckenbeurteilung), gleichzeitig sollten die gemachten Fortschritte aber hervorgehoben und der “Nachlernbedarf” geklärt werden.

Tipps für die Praxis:

Rege Lernende zu nachhaltigen Lernformen an:

  • Es ist im Einzelfall immer mal ok, Binge-Learning zu betreiben.
  • Die Lernenden haben dafür zumeist ihre Gründe.
  • Fördern sollten wir das allerdings nicht.

Ziehe echte Lernziele bloßen Leistungszielen vor:

  • Leistungsziele (“Performance goals”) zielen lediglich auf das Bewältigen einer Aufgabe in einer bestimmten Situation ab.
  • Sie sind langfristig eher demotivierend.
  • Lernende mit echten Lernzielen sind offener gegenüber Feedback und sind der Überzeugung, dass Intelligenz trainiert werden kann.

Als Lehrende haben wir großen Einfluss auf die Zielsetzung:

  • Der Fokus im Unterricht sollte transparent auf Lernziele gesetzt werden
  • Viele kleine Prüfungen, statt weniger großer können dabei helfen
  • Bei der Formulierung können Merkformeln, wie das SMART-Schema eine Hilfe sein