Mastery Learning der Weg zum höheren „Outcome“?

Die Reanimationsleitlinien der American Heart Association (AHA) von 2020 haben auf medizinisch-fachlicher Ebene zwar mit einigen Änderungen aufwarten können,  diese waren allerdings überschaubar und werden in den kommenden Wochen und Monaten gut in Ausbildung und Praxis umzusetzen sein. Allerdings ist diese fachliche Ebene nur ein Teil der Gesamtherausforderung. Ziel der AHA wird weiterhin sein, den plötzlichen Herztod auf ein Minimum zu reduzieren. Dies kann aber aus verschiedenen Gründen nicht alleine durch wissenschaftlich saubere Forschungsergebnisse und Erkenntnisprozesse gelingen. Aus diesem Grunde hat die AHA in den Leitlinien von 2020 einen starken Schwerpunkt auf zwei Themenbereich gelegt:

Hier erklären wir nochmal, was es mit diesen Bereichen auf sich hat.


In diesem Artikel möchten wir kurz das Thema „Mastery Learning“ aus dem Leitlinienabschnitt zu Aus- und Fortbildung vorstellen.

Was ist Mastery Learning?

Mastery Learning ist im Grunde ein relativ komplexes pädagogisches Konzept, da es sich nicht nur um eine Methode, sondern um ein didaktisches Prinzip handelt. Wer tief in das Thema eintauchen möchte, kann sich hier die „Zeitschrift für Pädagogik Jahrgang 46 – Heft 3 – Mai/Juni 2000“ herunterladen, die einen wunderbaren Gesamtüberblick gibt.


Eine kürzere Definition findet sich bei John Hattie:
„Konzept, bei dem die Lehrperson das Tempo des Unterrichts bestimmt und das begleitende Feedback und die korrigierenden Massnahmen kleinschritting steuert. Der Stoff wird aufgeteilt in relativ kleine Lerneinheiten, jede mit ihren eigenen Zielen und ihrer eigenen formativen Einschätzung. Jeder Einheit gehen kurze diagnostische Tests voran, die Informationen geben, um Lücken und Stärken zu identifizieren. Lernende gehen nicht zu neuem Material über, bevor sie nicht den vorhergehenden und grundlegenden Stoff, der als Voraussetzung dient, beherrschen. Mastery-Learning erfordert eine Vielzahl von engen Feedbackschleifen, basierend auf kleinen Einheiten genau definierter, gut aufeinander aufbauender Outcomes.“

Aus: Hattie, John A. C. (2013, S. 202f): Lernen sichtbar machen. Überarbeitete deutschsprachige Ausgabe von „Visible learning“, besorgt von Wolfgang Beywl und Klaus Zierer. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren.


Mastery Learning wird auch als „zielerreichendes“ oder Akkumulationslernen bezeichnet und weist nach Beywl/Zierer (2018) eine Effektstärke von d = 0,57 auf. Damit scheint das Unterrichtskonzept einen Mehrwert für die Lernenden zu bieten. Die AHA schlägt in den Leitlinien von 2020 vor, verstärkt auf Mastery Learning zu setzen und die Zielerreichungsschwelle möglichst hoch zu setzen. Dies ist natürlich, insbesondere bei Reanimationen, auch sehr nachvollziehbar. Wer möchte für sich selbst, Freunde oder Familienangehörige schon eine Reanimation, die nur zu 70% erfolgreich abläuft? Einige Rettungsdienstbereiche in Deutschland setzen daher auf mehr als 90% als Zielerreichungsgrad in ihren Trainings.

Was bedeutet das für Trainer?

Die große Schwierigkeit für Trainer ist, dass „Mastery Learning“ als Gesamtkonzept angelegt ist und dass es schwer ist, die dahintersteckenden Ideen einfach so auf einzelne Trainings oder Unterrichtstage anzuwenden. Vielmehr ist dies eher im Rahmen größerer Lern-Lehr-Arrangements möglich. Dennoch können einzelne Prinzipien auch in kurzen Lerneinheiten angewendet werden.

Nach Block (1971) sind folgende Aspekte hilfreich, die man ohne weiteres auch als Einzelprinzip anwenden könnte:

  • Auswahl geeigneter Unterrichtsfächer (selecting subjects for mastery learning)
  • Bestimmung und Überprüfung des Erfolgskriteriums (defining and measuring mastery)
  • Formative Evaluation (formative evaluation)
  • Korrekturmaßnahmen (learning correctives)
  • Häufigkeit von Feedback- und Korrekturstrategien (the frequency of use of the feedback/correction procedures)
  • Verteilung der Lernzeit (the allocation of learning-instructional time)

Gerade in Hinblick auf das korrigierende Eingreifen und die kurzen Feedbackschleifen, sehen wir hier also deutliche Parallelen zur „Deliberate Practice“, die wir in einem anderen Blogbeitrag vorgestellt haben und die ebenfalls von der AHA empfohlen wird. Auch hier bietet es sich also an, eine gute Lernatmosphäre zu schaffen, in der ein konstruktiver Umgang miteinander gepflegt wird.

Was bedeutet das für Anwender?

Für Anwender kann „Mastery Learning“ vor allem dann sehr frustrierend sein, wenn die Zielerreichungsschwelle sehr hoch gesetzt ist. Da dies in vielen notfallmedizinischen Trainings und vor allem in der innerbetrieblichen Fortbildung sinnvoll sein könnte, ist es wichtig, eine konstruktive Haltung zu den hohen Erwartungen zu entwickeln.

Gleichzeitig ist eine offene Kommunikation über die eigenen Gefühle gegenüber den Trainern wichtig. Diese sollte möglichst sachlich und zielorientiert erfolgen. So können die Trainer überlegen, welche individuellen Hilfestellungen gegeben werden können.

Fazit

„Mastery Learning“ ist ein relativ komplexes Unterrichtskonzept, dass in jedem Falle von ausgebildeten Pädagogen curricular implementiert werden sollte, bevor es Anwendung in der Praxis findet. Hier überschneiden sich auch die Vorgaben der AHA zur Ausbildung mit den „systembezogenen Vorgaben“. Rettungsdienstbetriebe und Kliniken sind gut beraten, gezielt den Kontakt mit pädagogischen Experten zu suchen, um solcherlei Konzepte mit einem hohen Zielerreichungsgrad im Fortbildungsalltag zu implementieren. Dennoch lohnt es sich auch darüber hinaus, sich mit dem Thema zu beschäftigen und einzelne Details des Konzeptes im Trainingsalltag anzuwenden.