Es ist 1992. 13 Personen sitzen im englischen Brighton verschwörerisch an einem Tisch. Die klassische Einrichtung des Old Ship Hotels unterstreicht die Bedeutung ihres Vorhabens.
Kurz zuvor wurde bei der nationalen Konferenz der American Heart Association (AHA) in Dallas beschlossen, die Gründung einer internationalen Organisation zur Verbesserung der Reanimationsversorgung zu unterstützen. Ähnliche Beschlüsse ergingen in den Gremien des European Resuscitation Council (ERC) und anderer internationaler Fachgesellschaften. Bereits 1990 wurden in “Kloster Utstein” im norwegischen Stavanger die ersten Versuche einer Zusammenarbeit unternommen. Hieraus resultierte unter anderem der “Utstein-Style” für Herz-Kreislaufstillstände.
Zurück nach Brighton. Die Organisation, die hier gerade gegründet wurde und sich später ILCOR (International Liaison Committee for Resuscitation) nennen würde, sollte eine Basis für den internationalen Austausch und Abgleich von Forschungsergebnissen und Handlungsempfehlungen ermöglichen.
Neben AHA und ERC waren auch Vertreter der “Heart and Stroke Foundation of Canada”, des “Resuscitation Council of Southern Africa (RCSA)” und des “Australian Resuscitation Council (ARC)” vertreten. In den folgenden 15 Jahren sollten auch das “Consejo Latinoamericano de Resucitacion (CLAR)” und “Resuscitation Council of Asia (RCA)” hinzustoßen. Man kannte sich untereinander. Aber eine solche Organisationsform war bisher beispiellos.
Man sprach also miteinander, lotete Vor- und Nachteile und gemeinsame Ziele aus. Zunächst wollte man sich auf ähnliche Empfehlungen im Bereich des Basic Life Supports konzentrieren, da man zu diesem Zeitpunkt noch davon ausging, dass die unterschiedlichen nationalen Standards im Hinblick auf Medikamentenverfügbarkeit im Bereich des ACLS zu Problemen führen würden. Doch schon ein Jahr später würde man sich dafür entscheiden Empfehlungen auf allen Ebenen herauszugeben.
Dies gipfelte in der “Guidelines 2000 Conference”, die auch heute noch zu Recht als ein Meilenstein der gemeinsamen Arbeit betrachtet wird. Auf Basis der Konferenzergebnisse konnten die regionalen Fachgesellschaften nun ihre eigenen Leitlinien entwickeln, die international vergleichbar waren.
Aber wie genau haben sich die AHA-Leitlinien seither entwickelt?
2000
Vorgehen:
- ABC-Schema und D für Defibrillation
Airway/Breathing:
- Überprüfen der Atemwege
- 2 Initialbeatmungen
- AF von 10-12/Minute
- Atemhubvolumen von 700-1000 ml bei einem FiO2 von 0,21 oder 400-600 ml, wenn FiO2 von mehr als 0,4 möglich ist
- 2 Sekunden pro Atemhub
- Krikoiddruck zur Ösophagusabdichtung
Circulation:
- Pulscheck als Goldstandard wird in Frage gestellt
- Kompressionsort mit den Fingern “abmessen”
- Kompressionsfrequenz >100/Minute
- Ratio von 15:2
- Compressions-only (für Ersthelfer) möglich
Defibrillation:
- Frühdefibrillation (z.B. mit AED) wird dringend angeraten
Medikamente:
- Adrenalin oder Vasopressin als “Basismedikation”
- Amiodaron oder Lidocain sollten erwogen werden
- Atropin möglich bei “langsamer PEA” und Asystolie
- Magnesium bei Torsade-de-Pointe-Tachykardien
Atemwegssicherung:
- Intubation nur durch den trainierten Anwender
- CO2-Kontrolle angeraten
ROSC:
- Keine aktive Wiedererwärmung
- Fiebersenkung bei Bedarf
Hier könnt Ihr die Leitlinien von 2000 nachlesen
2005
Vorgehen:
- ABC-Schema
Airway/Breathing:
- Überprüfen der Atemwege
- 2 Initialbeatmungen
- AF von 8-10/Minute
- Atemhubvolumen muss “suffizient” sein
- 1 Sekunde pro Atemhub
- Krikoiddruck zur Ösophagusabdichtung
Circulation:
- Kompressionsort ist nun “untere Sternumhälfte”
- Kompressionsfrequenz >100/Minute
- Betonung von Entlastungen
- Ratio von 30:2
- Compressions-only (für Ersthelfer) möglich
Defibrillation:
- Frühdefibrillation (z.B. mit AED) wird dringend angeraten
- “1-Schock-Strategie”
Medikamente:
- Adrenalin oder Vasopressin als “Basismedikation”
- Amiodaron oder Lidocain sollten erwogen werden
- Atropin möglich bei “langsamer PEA” und Asystolie
- Magnesium bei Torsade-de-Pointe-Tachykardien
Atemwegssicherung:
- Intubation nur durch den trainierten Anwender
- CO2-Kontrolle angeraten
ROSC:
- Keine aktive Wiedererwärmung
- Ggf. induzierte Hypothermie erwägen
- Fiebersenkung bei Bedarf
Hier könnt Ihr die Leitlinien von 2005 nachlesen
2010
Vorgehen:
- CAB-Schema
Airway/Breathing:
- Überprüfen der Atemwege wird zu Gunsten früherer Kompressionen nach hinten geschoben
- Keine Initialbeatmungen
- AF von 8-10/Minute
- Atemhubvolumen muss “suffizient” sein, etwa 600 ml
- 1 Sekunde pro Atemhub
- Krikoiddruck zur Ösophagusabdichtung wird nicht mehr empfohlen
Circulation:
- Kompressionsort ist “untere Sternumhälfte”
- Kompressionsfrequenz >100/Minute
- Deutlichere Betonung von Entlastungen und Drucktiefe ⅓-Thoraxdurchmesser
- Ratio von 30:2
- Compressions-only (für Ersthelfer) möglich
Defibrillation:
- Frühdefibrillation (z.B. mit AED) wird dringend angeraten
- “1-Schock-Strategie”
Medikamente:
- Adrenalin (oder Vasopressin) als “Basismedikation”
- Amiodaron nach dem 3. erfolglosen Schock
- Magnesium bei Torsade-de-Pointe-Tachykardien
Atemwegssicherung:
- Intubation nur durch den trainierten Anwender
- CO2-Kontrolle dringend empfohlen
ROSC:
- Keine aktive Wiedererwärmung
- Induzierte Hypothermie erwägen
- Fiebersenkung bei Bedarf
Hier könnt Ihr die Leitlinien von 2010 nachlesen
2015
Die Guidelines von 2015 sind uns allen aus den letzten Jahren natürlich hinlänglich bekannt. Inzwischen haben wir beinahe 5 Jahre nach ihnen gearbeitet und trainiert. Neben einigen kleineren Änderungen war der wohl größte Erfolg der internationalen Kooperation die Tatsache, dass kleinere Updates nun jährlich veröffentlicht werden sollten. Dies konnte seit 2017 auch umgesetzt werden.
Dennoch freuen wir uns natürlich auch besonders auf das „Große Update“ am 21.10.2020.
Ihr findet die aktuellen Leitlinien von 2015 und die „Focused Updates“ hier:
Leitlinien 2015
Focused Update 2017
Focused Update 2018
Focused Update 2019
Zusammenfassung
Schaut man sich die vorgenommenen Änderungen an, erkennt man schnell, dass in den meisten Updatezyklen nur wenige Aspekte geändert werden. Große Änderungen, etwa der Wegfall der Atropingabe bei der Asystolie, sind selten. Das liegt nicht selten in der oftmals sehr dünnen Studienbasis. Natürlich haben wir nur einen kleinen Ausschnitt aus den Veränderungen der Leitlinien über die letzten 20 Jahre hier dargestellt. Viele wichtige Detailfragen, die in den letzten 20 Jahren besprochen wurden, konnten wir in diesem Beitrag natürlich nicht abbilden.
Trotzdem wollten wir auf diesem Wege einen kleinen Einblick in den manchmal sehr zähen Prozess rund um die Handlungsempfehlungen geben, nach denen wir arbeiten. Wir können aber, und das passt auch gut zu der Geschichte, die wir zu Anfang dieses Beitrags erzählt haben, einen Trend beobachten, der sich immer weiter durchzieht. Von Jahr zu Jahr wird die Arbeit im Team und die gelungene Kommunikation untereinander mehr und mehr in den Vordergrund gerückt und darauf verwiesen, dass eine gelungene Reanimationsversorgung nur dann funktioniert, wenn alle an der Versorgung beteiligten Hand-in-Hand arbeiten.
Hier kann jedem von uns das Treffen in Brighton als Vorbild dienen:
Gemeinsame Standards und Kooperationen lassen uns im Sinne unserer Patienten besser werden.
Nur gemeinsam können wir besser werden.Da ist was dran und sollte das Leitziel von uns sein. Bin gespannt was kommt